
Eine aktuelle Studie der ESMT Berlin offenbart neue Erkenntnisse darüber, wie Bürger*innen Forschungsprojekte bewerten und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. In der Veröffentlichung, die in der Fachzeitschrift Research Policy erschien, bewerteten über 2.300 Bürger-Evaluatoren vier reale Forschungsanträge zu Themen wie COVID-19 Arzneimittelentdeckung, Alzheimer, Konflikten zwischen Ottern und Menschen in Florida sowie den wirtschaftlichen Präferenzen über demografische Gruppen.
Die Bewertungsmethoden umfassten sowohl Empfehlungen zur Beratung einer Förderagentur als auch Crowdfunding, wobei die Beteiligung der Bürger*innen vielfältige Aspekte von wissenschaftlichem Engagement und gesellschaftlichem Nutzen umfasste. Die Bürger*innen bewerteten die Anträge anhand drei grundlegender Kriterien: wissenschaftliche Qualität, soziale Auswirkungen und Teamqualifikationen. Dabei zeigte sich, dass soziale Auswirkungen und wissenschaftliche Qualität nahezu gleich gewichtet wurden, während die Teamqualifikationen eine kleinere, jedoch wichtige Rolle spielten.
Einfluss der Bewertungsmethoden
Ein interessanter Aspekt der Studie war der Einfluss der Bewertungsmethode auf die Teilnehmer. Das Crowdfunding zog vor allem wohlhabendere und gebildete Personen an, während die Empfehlungsbewertung eine breitere und inklusivere Beteiligung ermöglichte. Dies verdeutlicht die Herausforderungen, die mit der Einbeziehung von Bürger*innen in die Wissenschaftsgovernance verbunden sind.
Die Studie hebt hervor, dass persönliche Verbindungen die Wahrnehmung der Bürger*innen beeinflussen können. Teilnehmer, die einen direkten Bezug zu den Themen hatten, unterstützten die Vorschläge eher. Dies wirft Fragen zur Variabilität der Bewertungskriterien und -muster auf und verdeutlicht die Komplexität der Bürgerbeteiligungsprozesse.
Hybrid-Systeme Vorschlag
Die Autoren der Studie schlagen vor, Hybrid-Systeme zu entwickeln, die Expertenbewertungen mit öffentlichem Input kombinieren. Ziel ist es, die Qualität und Legitimität von Forschungsförderungsentscheidungen zu verbessern und einen durchdachten Prozess bei der Einbeziehung von Bürgerinput in die Wissenschaft zu etablieren.
Diese Forschungsergebnisse sind besonders relevant für die zunehmende Bedeutung von Citizen Science in verschiedenen Disziplinen. Laut einem weiteren Artikel auf PMC ist Citizen Science ein Ansatz, bei dem Bürger*innen aktiv in alle Aspekte des Forschungsprozesses integriert werden, von der Konzeptualisierung über die Datensammlung bis hin zur Wissensverbreitung und Evaluation. Besonders in der Bevölkerungsforschung spielt Citizen Science eine wichtige Rolle bei der Bewältigung komplexer Gesundheitsprobleme und kann in Kombination mit community-basierter Forschung eingesetzt werden, um gesundheitliche Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.
Moderne Technologien, insbesondere Smartphones, erleichtern die Einbeziehung der Bürger*innen in Forschungsprojekte. Diese Entwicklung könnte helfen, die Datenerhebung zu verbessern und dazu beitragen, gesundheitliche Ungleichheiten zu adressieren. Dennoch gibt es ethische Überlegungen, insbesondere bezüglich Datenschutz und der Qualität der gesammelten Daten.
Gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft
In Deutschland gibt es einen bemerkenswerten Trend zur Öffnung der Universitäten gegenüber der Gesellschaft und zur Förderung von Citizen Science. Hochschulen sind gefordert, ihre Forschung verständlich zu kommunizieren und einen direkten gesellschaftlichen Nutzen zu schaffen. Formate wie Lange Nächte der Wissenschaft und offizielle Tage der offenen Tür bieten Gelegenheiten zur Einbindung der Bürger*innen in den Forschungsprozess. Diese Initiativen sind nicht nur darauf ausgelegt, Wissen zu teilen, sondern auch, um soziale Gerechtigkeit und demokratische Prozesse zu fördern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Integration von bürgerschaftlichem Engagement in den Forschungsprozess nicht nur die Wissenschaft bereichert, sondern auch die Bürger*innen befähigt, an wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen teilzuhaben. Diese Entwicklungen werfen jedoch auch Fragen über die Qualität der Forschung und die ethischen Implikationen der Beteiligung auf, die es zu klären gilt, um das Potenzial von Citizen Science voll auszuschöpfen.