
Die neuesten archäologischen Entdeckungen im Mitteldeutschen Neumark-Nord-Gebiet werfen ein neues Licht auf die Lebensweise der Neandertaler. Laut einer aktuellen Studie, veröffentlicht in Science Advances, betrieben die Neandertaler vor etwa 125.000 Jahren eine Art prähistorische „Fettfabrik“. Die Fundstelle, die Überreste aus einer Warmzeit umfasst, zeigt, dass Neandertaler komplexe Ernährungsstrategien entwickelten und eine hochorganisierte Lebensmittelproduktion betrieben.
An dem Fundort, den Archäologen seit den 1980er-Jahren untersuchen, wurden über 120.000 Knochenfragmente und mehr als 16.000 Feuersteinwerkzeuge entdeckt. Die systematische Verarbeitung von mindestens 172 Großsäugetieren, zu denen Tiere wie Hirsche, Pferde und Auerochsen gehören, belegt, dass die Neandertaler energiereiches Knochenfett gewannen. Diese Funde deuten auf ein tiefes Verständnis des Ökosystems und eine sorgfältige Planung ihrer Jagdstrategien hin.
Einblick in die Umwelt und Anpassungsfähigkeit
Der Bereich Neumark-Nord war vor 125.000 Jahren ein dicht bewaldetes Gebiet, in dem Beutetiere wie Pferde, Elefanten und Löwen lebten. Die Archäologen, angeführt von Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser vom archäologischen Forschungszentrum und Museum MONREPOS, finden, dass die Neandertaler in der Lage waren, ihre Umgebung aktiv zu gestalten. Sie hielten die Landschaft durch regelmäßige Jagd und das Anlegen von Vorratsdepots offen, was mindestens über 2.000 Jahre in Anspruch nahm.
Diese Erkenntnisse stellen die bisherige Annahme infrage, dass menschlicher Einfluss auf die Umwelt erst mit der Entwicklung der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren begann. Frühere Studien, die in einem Braunkohleabbaugebiet in der Nähe von Halle durchgeführt wurden, zeigen, dass Neandertaler bereits früher eingriffen, um ihre Überlebensstrategien zu optimieren. Nach Archäologie Online gebührt Neumark-Nord die Ehre, als das früheste Beispiel menschlichen Eingriffs in die Umwelt zu gelten.
Komplexe Jagdstrategien und Ernährungsvielfalt
Ein weiterer Aspekt der Neandertaler-Kultur zeigt sich in der Vielfalt ihrer Nahrung. Neben Großwild jagten sie auch kleinere Tiere wie Schneehühner und Hasen, was die Vorstellung einer stark eingeschränkten Ernährung revidiert. Diese Funde, die jüngst in der Höhle „Hohle Fels“ präsentiert wurden, erfordern ein Umdenken über die Fähigkeiten der Neandertaler. Professor Nicholas Conard, wissenschaftlicher Direktor des Urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren, hebt hervor, dass die Ausgrabungen und analogen Schlachtspuren die These destabilisieren, dass Neandertaler durch ihre Ernährung und mangelnde geistige Fähigkeiten ausstarben (Forschung und Lehre).
Dr. Stefanie Kölbl, Direktorin des Museums, stellt fest, dass die intelligenten Jagdstrategien der Neandertaler sowie ihr Bedürfnis nach Schmuck und Bestattungen für ihre kulturelle Komplexität sprechen. Das Zusammenspiel dieser Elemente führt zu einem umfassenderen Verständnis ihrer Lebensweise und ihrer Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Umweltbedingungen.
Die vielseitigen Entdeckungen sowohl in Neumark-Nord als auch in anderen Regionen machen deutlich, dass die Neandertaler eine tiefere Verbindung zu ihrem Lebensraum und ihrer Umwelt hatten als zuvor angenommen.