
In den letzten Jahren hat sich eine neue Form der Kinderarbeit entwickelt, die weniger sichtbar, aber nicht weniger besorgniserregend ist: das Phänomen der „Kidfluencer“. Diese Kinder erstellen Inhalte auf sozialen Medien und erreichen dabei ein erhebliches Publikum. Laut Dr. Till Nierhoff, der an der FernUniversität in Hagen über dieses Thema promoviert hat, wird diese Art der Kinderarbeit oft nicht als solche anerkannt. Ein Großteil der Probleme rührt daher, dass die juristische Situation klar ist, die bestehenden Regelungen jedoch häufig nicht angewendet werden.
Die Arbeitsbedingungen von Kidfluencern sind komplex. Eltern, die ihre Kinder als Influencer vermarkten, fungieren sowohl als Arbeitgeber als auch als gesetzliche Vertreter. Oft geben sie ihre Berufe auf, um das „mediale Familienunternehmen“ zu managen. In diesem Kontext bezieht sich Dr. Nierhoff auf den populären YouTube-Kanal „Mileys Welt“, von dem die Familie lebt. Um Kinder finanziell zu schützen, plädiert er für spezielle Schutzmechanismen, wie beispielsweise einen Fonds für Einnahmen aus kindlicher Medienarbeit, um nicht die Eltern, sondern die Kinder zu schützen.
Kindliche Psyche und öffentliche Präsenz
Die psychischen Belastungen, die mit der Tätigkeit als Kidfluencer einhergehen, sind ein weiteres zentrales Thema. Nierhoff fordert mehr Aufklärung und Diskussion über die Auswirkungen auf die kindliche Psyche. Kinder stehen auch unter erheblichem psychischen Druck, der durch den öffentlichen Charakter ihrer Aktivitäten verstärkt wird. Das Kind muss nicht nur Inhalte produzieren, sondern auch die Erwartungen des Publikums erfüllen. Zwischen dem gewünschten Erfolg und der kindlichen Unschuld entsteht oft ein gefährlicher Druck.
Die Risiken der digitalen Welt, einschließlich Cybermobbing und sexualisierter Gewalt, sind alarmierend. Laut dem D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt ist Kinderarbeit im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) bei Tätigkeiten gegen Entgelt oder zu wirtschaftlichen Zwecken grundsätzlich verboten. Auch wenn es Ausnahmen für künstlerische oder kulturelle Tätigkeiten gibt, sind diese oft nicht klar definiert.
Regelungen und Herausforderungen
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und UNICEF differenzieren zwischen leichten, erlaubten Tätigkeiten und Kinderarbeit, welche die Beschäftigung unter dem Mindestalter umfasst. In Deutschland ist jede Form der Entgeltzahlung für Kinder unter 15 Jahren nur sehr eingeschränkt erlaubt, mit spezifischen Genehmigungen. Die Arbeitszeiten für Kinder sind klar geregelt: Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren dürfen bis zu zwei Stunden täglich arbeiten, während Kinder ab 6 Jahren bis zu drei Stunden täglich beschäftigt werden können. Verantwortlich für die Überwachung dieser Regelungen sind verschiedene Aufsichtsbehörden, die jedoch oft aufgrund mangelhafter Ressourcen und wochenlanger Bearbeitungszeiten nur unzureichend durchgreifen.
Das Beispiel des 8-jährigen Ryan Kaji, der 2019 mit 26 Millionen Dollar als bestverdienender YouTuber galt, zeigt, wie lukrativ Kidfluencing sein kann. Doch entscheidend ist nicht nur der Geldfaktor: Kinder zwischen 7 und 13 Jahren sollten bei Entscheidungen über ihre Online-Aktivitäten mit ihren Eltern einbezogen werden, da sie die Tragweite solcher Veröffentlichungen oft nicht vollumfänglich erfassen können.
Die Diskussion um Kidfluencer wirft grundlegende Fragen zur Rolle von Eltern auf, die in vielen Fällen eine Eigeninteresse verfolgen. D64 betont die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Nutzung sozialer Medien und fordert verstärkte staatliche Maßnahmen, um sowohl Kidfluencer als auch deren Eltern besser zu unterstützen und zu schützen.