
Eine aktuelle Studie des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz, veröffentlicht in der „American Political Science Review“, beleuchtet die gesellschaftlichen Folgen ökonomischer Ungleichheit. Auch die geringen Berücksichtigungen dieser Themen in den Wahlprogrammen politischer Parteien stehen im Fokus der Untersuchung. Hauptautor der Studie, die mittlerweile für ihre Detailtreue bekannt ist, ist Alexander Horn, Forschungsgruppenleiter der Emmy Noether-Gruppe „Varieties of Egalitarianism“ (uni-konstanz.de).
Die Hauptergebnisse der Studie zeigen alarmierende Trends: Politische Parteien in Deutschland und international, einschließlich der insbesondere als links geltenden Parteien, ignorieren die thematische Dringlichkeit ökonomischer Ungleichheit weitgehend. Dies umfasst die Vernachlässigung von erheblichen Einkommenszuwächsen bei wohlhabenden Bevölkerungsgruppen. Indem sowohl linke als auch rechte Parteien nicht auf diese Entwicklungen reagieren, offenbaren sich grundlegende strukturelle Schwächen innerhalb des demokratischen Systems.
Strukturelle Verzerrungen der Demokratie
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Veränderungen in der ökonomischen Ungleichheit nicht zu adäquaten politischen Reaktionen führen, insbesondere nicht seitens rechtsgerichteter Parteien. Gründe hierfür könnten in strukturellen Verzerrungen, in der Sichtbarkeit der reichsten Personen und in den Mobilisierungshürden ärmerer Gruppen liegen, die gleichzeitig durch eine meritokratische Rechtfertigung des gegenwärtigen, ungleichen Status quo verstärkt werden. Politische Reaktionen beschränken sich oft auf Zeitpunkte, an denen Ungleichheit so stark angestiegen ist, dass sie nicht mehr ignoriert werden kann, da immer mehr Menschen aufgrund ökonomischer Rückschritte unter das Medianeinkommen fallen.
Diese Erkenntnisse zielen darauf ab, die strukturellen Schwächen demokratischer Prozesse aufzuzeigen. Die Studienautoren verwenden eine innovative Methodik, welche die Auswertung von 850.000 Aussagen aus Wahlprogrammen in 12 OECD-Ländern über einen Zeitraum von 50 Jahren (1970–2020) mit dem sogenannten Online-Crowdcoding umfasst.
Politische Ungleichheit und Partizipation
Doch die Ignoranz dieser ökonomischen Disparitäten zeigt sich nicht nur in den Wahlprogrammen, sondern auch in der politischen Partizipation. Politische Ungleichheiten haben sich in der letzten Zeit noch verstärkt. Das zentrale Versprechen der Demokratie, „one man, one vote“, ist somit stark gefährdet. Studien belegen, dass die wachsende ökonomische Ungleichheit die politische Partizipation erheblich beeinflusst (bpb.de).
Die Wahlbeteiligung ist insgesamt rückläufig, wobei Frauen unter 60 Jahren häufiger wählen als Männer. Im Gegensatz dazu beteiligen sich Menschen aus bildungsfernen Schichten und mit niedrigem Einkommen deutlich weniger. Eine überwältigende Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hat einen Hochschulabschluss, während untere Bildungs- und Einkommensgruppen in der politischen Repräsentation unterrepräsentiert sind. Diese ungleiche Vertretung hat weitreichende Konsequenzen: Die Interessen politisch aktiver und besser gebildeter Gruppen erhalten häufig mehr Aufmerksamkeit, während die Erwägungen ärmerer und weniger gebildeter Bürger weitgehend ignoriert werden.
Folgen der politischen Apathie
Die politische Abstinenz von bildungsfernen und einkommensschwachen Personen hat dramatische Auswirkungen auf die Legitimität demokratischer Prozesse. Menschen mit geringer Bildung bringen ihre Interessen seltener in die Politik ein, was zur Folge hat, dass die Interessen bildungsferner und einkommensschwacher Bürger nicht mehr adäquat vertreten werden. Diese Entwicklung kann zu politischer Entfremdung führen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich abwandernde Wähler extremen Parteien zuwenden. Reformmaßnahmen sind dringend geboten, um diese Missstände zu adressieren und politische Gleichheit herzustellen (bpb.de).
Um die Kluft der politischen Ungleichheit zu schließen, sollten politische Repräsentanten die Interessen aller Bürger berücksichtigen. Stärkere selbstvertretende Maßnahmen für politisch schwach vertretene Gruppen könnten Initiativen zur Verbesserung der politischen Partizipation fördern. Maßnahmen zur Inklusion marginalisierter Gruppen in partizipativen Verfahren sind essenziell, um die Demokratiequalität zu verbessern und allen Bürgern eine Stimme zu geben.