
Am 10. Juni 2025 begann die Konferenz „Ein Versuch von Demokratie: Russland 1989–1999“, organisiert von der Universitätsallianz Ruhr an der Ruhr-Universität. Prorektor Prof. Dr. Achim von Keudell eröffnete die Veranstaltung, die als internationales Forum zum Austausch über Demokratie, Erinnerungskultur und die Herausforderungen autoritärer Tendenzen in Russland konzipiert ist. Der EU-Botschafter Roland Galharague begrüßte die Teilnehmenden live aus Moskau und unterstrich die Relevanz des Themas in der aktuellen politischen Lage.
Die Konferenz versammelte renommierte Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen, darunter Politik, Sozialwissenschaften, Journalismus und Menschenrechtsarbeit. Zu den besonderen Gästen zählte die bekannte Historikerin und Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa. Sie hielt einen eindrücklichen Vortrag über ihre Erfahrungen mit der verbotenen Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Scherbakowa sprach dabei über die Aufarbeitung der sowjetischen und russischen Gewaltgeschichte, die nach wie vor mit tiefen Herausforderungen verbunden ist.
Die Bedeutung der Geschichtserinnerung
Eines der zentralen Themen von Scherbakowas Vortrag war die mangelnde gesellschaftliche Bereitschaft zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Vergangenheit. Sie forderte eine offizielle Erklärung der Sowjetunion als Verbrecherstaat. Dies spiegelt sich auch in der aktuellen politischen Praxis wider, wo der Erinnerungsdiskurs stark von der Regierung kontrolliert wird.
Die Konferenz thematisierte zudem die historische Entwicklung Russlands seit dem Zerfall der Sowjetunion. In den letzten Jahren hat sich besonders das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Russland verändert. Am 9. Mai, dem Tag des Sieges über Nazi-Deutschland, fanden auch 2025 wieder große Feierlichkeiten mit einer Militärparade in Moskau statt, die tausende Soldaten und schwere Kriegsgeräte präsentierte. Historikerin Scherbakowa wies darauf hin, dass dieser Tag lange Zeit in der Stalinzeit kaum gefeiert wurde, was die historische Komplexität unterstreicht.
Autoritäre Entwicklungen und Erinnerungskultur
In ihrem Diskurs betonte Scherbakowa auch den Missbrauch des Gedenkens an den Sieg über Hitler-Deutschland durch gegenwärtige Politiker, vornehmlich durch die russische Führung unter Wladimir Putin. Sie sah in den heutigen Reden eine „Verhöhnung der Opfer“ des Krieges und kritisierte die Rhetorik, die eine Reminiszenz an das Leid und den Friedensgedanken heute zunehmend ausblendet.
Ein Vergleich zu den Entwicklungen auf Seiten der Ukraine zeigt, dass in der Ukraine historische Archive zugänglich gemacht wurden, während in Russland die Erinnerungspolitik stark eingeengt ist. Diese divergierenden Ansätze verstärken die Spannung zwischen den beiden Ländern und verdeutlichen, wie wichtig eine reflektierte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist, um autoritären Strömungen entgegenzuwirken.
Die Konferenz „Ein Versuch von Demokratie“ ist somit nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern auch ein Plädoyer für eine gerechtere Zukunft, in der die Lehren der Geschichte berücksichtigt werden. Sie verfolgt das Ziel, die Diskussion über Demokratie aktiv zu fördern und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, wie sehr deutlich auch bei Ereignissen ähnlicher Art in Europa sichtbar ist, wie etwa bei der Konferenz „Von autoritären Gesellschaften zur Demokratie“, die 2008 stattfand und auf zentrale demokratiepolitische Herausforderungen einging.
Wie news.rub.de berichtet, wurde die Konferenz in Kooperation mit der Eastern Academic Alliance organisiert und von der ZEIT Stiftung Bucerius sowie der Postcode-Lotterie gefördert. Dies verdeutlicht die Bedeutung, die der Austausch über Demokratie und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf internationaler Ebene hat. Zudem wird die Dringlichkeit eines dauerhaften Dialogs über politische Systeme und deren Einflüsse auf die Gesellschaft immer relevanter.
Zusammenfassend zeigt sich, dass sowohl in Russland als auch in anderen Ländern die Sensibilität für die Aufarbeitung der Geschichte und die heutigen politischen Herausforderungen miteinander verknüpft sind. Die Aussagen von Irina Scherbakowa und die Diskussionen auf der Konferenz verdeutlichen, dass der Weg zur Demokratie oft steinig ist und Bereitwilligkeit zur Reflexion und Veränderung erfordert.