
Die künstliche Herstellung von Blut ist ein langlebiges Ziel in der medizinischen Forschung. In Deutschland werden täglich etwa 15.000 Blutkonserven benötigt, die in der Regel von freiwilligen Spenderinnen und Spendern stammen. Aufgrund demografischer Veränderungen sinkt jedoch die Anzahl der Blutspender, was den Druck auf die Transfusionsmedizin erhöht. Forscher der Universität Konstanz und der Queen Mary University of London haben nun bedeutende Fortschritte erzielt, die das Potenzial haben, den Mangel an Spenderblut zu lindern.
Dr. Julia Gutjahr, Biologin am Institut für Zelluläre Biologie und Immunologie Thurgau der Universität Konstanz, leitet seit 2023 die Forschungsarbeit zu diesem Thema. Sie und ihr Team haben einen entscheidenden Zwischenschritt in der Blutproduktion entschlüsselt: das Chemokin CXCL12 und seinen Rezeptor CXCR4. Diese Moleküle sind entscheidend für den Ausstoß des Zellkerns in der Entwicklung roter Blutkörperchen, ein Prozess, der für die Anpassung der Erythroblasten entscheidend ist.
Die Rolle von CXCL12
Die natürliche Blutproduktion findet im Knochenmark statt, wo Stammzellen sich zu Erythroblasten entwickeln. Diese wiederum stoßen ihren Zellkern aus, um Platz für Hämoglobin zu schaffen, das für den Sauerstofftransport notwendig ist. Die Zugabe von CXCL12 zur richtigen Zeit kann diesen Zellkernausstoß künstlich auslösen. Die Forscher haben gezeigt, dass CXCL12 nicht nur an der Zelloberfläche wirkt, sondern auch in den Zellkern von Erythroblasten transportiert wird, um deren Reifung zu beschleunigen.
Der effizienteste Weg zur Herstellung von künstlichem Blut erfolgt aktuell über Stammzellen, wobei die Erfolgsquote beim Zellkernausstoß bei etwa 80 % liegt. Stammzellen sind jedoch begrenzt verfügbar und stammen meist aus Nabelschnurblut oder Stammzellenspenden. Zwar können Körperzellen auch in Stammzellen umprogrammiert werden, doch ist die Erfolgsquote hierbei nur bei etwa 40 %.
Die Entdeckung der Funktion von CXCL12 könnte zukünftig die Effizienz der Blutproduktion signifikant steigern. Dr. Gutjahr untersucht, wie die Industrie von dieser Erkenntnis profitieren kann, um die Herstellung von humanen Erythrozyten effizienter und zugänglicher zu machen. Eine erfolgreiche Produktion in größeren Mengen könnte nicht nur Engpässe bei Blutspenden überbrücken, sondern auch die gezielte Herstellung seltener Blutgruppen sowie personalisierte Behandlungen ermöglichen.
Historischer Kontext und aktuelle Herausforderungen
In der Vergangenheit gab es bereits verschiedene Ansätze zur künstlichen Blutproduktion. In den 1960er Jahren wurden erste Versuche unternommen, den Sauerstofftransport durch Perfluorkohlenstoffe (PFC) zu ersetzen, die sich jedoch als nicht praktikabel erwiesen. Auch die Verwendung von freiem Hämoglobin stellte sich als problematisch heraus, da es giftig wirkt, sobald es außerhalb der roten Blutkörperchen injiziert wird.
Aktuelle Forschungsarbeiten konzentrieren sich unter anderem auf die Stabilisierung und ungiftige Verpackung von Hämoglobin sowie auf die Züchtung roter Blutkörperchen aus Stammzellen. Expert:innen wie Prof. Dr. med. Torsten Tonn und Dr. Romy Kronstein-Wiedemann in Dresden arbeiten an der Züchtung menschlicher Erythrozyten, um die medizinische Versorgungsstruktur zu verbessern.
Die Originalpublikation zu den Forschungsergebnissen wird in „Science Signaling“ veröffentlicht. Die Fortschritte in der künstlichen Blutproduktion könnten nicht nur die medizinische Versorgung revolutionieren, sondern auch wichtige Perspektiven für die Zellbiologie eröffnen. Über die Entwicklungen wird auf uni-konstanz.de in umfassender Weise berichtet, während lab-news.de weiterführende Informationen bereithält. Mehr über die allgemeinen Herausforderungen im Bereich der Blutspende sind auf blutspende.de zu finden.