
Neuronale Entwicklungsstörungen sind ein ernstes gesundheitliches Problem, das weltweit Millionen Menschen betrifft. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Christel Depienne vom Institut für Humangenetik an der Universität Duisburg-Essen hat nun genetische Ursachen identifiziert, die zur Entstehung dieser Störungen führen können. In ihrer umfassenden Studie, die in Nature Genetics veröffentlicht wurde, analysierten die Forscher über 23.000 Patient:innen mit seltenen Erkrankungen und entdeckten Mutationen in kleinen nukleären RNAs (snRNAs) als mögliche Auslöser.
Für etwa 50 Prozent der neuronalen Entwicklungsstörungen sind die genetischen Ursachen bislang unklar. Während die Studie eine signifikante Anzahl von Mutationen im snRNA-Gen RNU4-2 identifizierte, die zum ReNU-Syndrom führen, konnten die Forschenden auch Varianten in verwandten Genen wie RNU5B-1 und RNU5A-1 entdecken. Insgesamt wurden 145 neue Fälle mit potenziell krankheitsverursachenden Varianten dokumentiert, wobei die meisten Genveränderungen spontan auftraten, häufig im mütterlichen Erbgut. Der Schweregrad der Symptome variierte je nach Mutationsort.
Neue Entdeckungen bei Entwicklungsstörungen
Parallel zu diesen Erkenntnissen berichteten Forscher der Universitätsmedizin Leipzig über zwei spezifische genetische Mutationen, die neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern auslösen können. Diese Entdeckungen, veröffentlicht in Fachzeitschriften, zeigen, dass mehr als 50 Prozent der Fälle von Intelligenzminderung oder Epilepsie ungeklärt bleiben. In einem der untersuchten Fälle wurde bei einem Kind, das an Früh-Epilepsie litt, eine Mutation im CHKA-Gen festgestellt. Diese Veränderung beeinträchtigt die Enzymkaskade zur Herstellung von Membranbausteinen.
Ein weiterer Fall betraf einen jüngeren Patienten mit Entwicklungsstörungen, bei dem Mutationen im ATP2B1-Gen identifiziert wurden, die für eine Kalziumpumpe kodiert, welche entscheidend für neurologische Funktionen ist.
Zusammenarbeit und Weiterentwicklung in der Forschung
Die Identifikation dieser genetischen Variationen wird durch internationale Kooperationen und große Datenbanken wie ClinVar unterstützt, in denen neue genetische Varianten dokumentiert werden. Noch immer gelingt es nur in 40-50 Prozent der Fälle, eine Diagnose zu stellen. Die Weiterentwicklung der Sequenzierungstechnologien, wie die Next Generation Sequencing (NGS), spielt dabei eine zentrale Rolle.
Zusätzlich wurde in einer separaten Studie das ESAM-Gen entdeckt, das bislang nicht mit seltenen Krankheiten in Verbindung gebracht wurde. Diese Forschung wurde an 13 Personen, darunter vier Föten, durchgeführt und umfasste Beteiligte aus verschiedenen Ländern, wie Italien, den USA und Frankreich. Betroffene zeigen häufig Symptome wie globale Entwicklungsverzögerung, intellektuelle Behinderung und epileptische Anfälle.
Das ESAM-Gen kodiert für ein Zell-Zell-Verbindungsprotein, das eine wichtige Rolle in der Blut-Hirn-Schranke spielt. Die Entdeckung der bi-allelischen Varianten des ESAM-Gens legt nahe, dass es möglicherweise neue Klassifikationen für Erkrankungen mit endothelialer Dysfunktion geben könnte, die als „tightjunctionopathies“ bezeichnet werden.
Diese fortschrittlichen genetischen Untersuchungen ermöglichen ein besseres Verständnis der molekularen Mechanismen hinter neuronalen Entwicklungsstörungen, was sowohl für die Forschung als auch für die klinische Praxis von großer Bedeutung ist. Derartige Erkenntnisse sind entscheidend, um Therapiemöglichkeiten zu entwickeln und frühzeitige Diagnosen zu stellen.