
Am 18. August 2025 jährt sich ein skandalöser Vorfall in der deutschen Literaturgeschichte, der tiefgreifende Auswirkungen auf die Vergabe von Auszeichnungen hatte. 1960 wurde die Vergabe des Literaturpreises an Günter Grass für sein bedeutendes Werk „Die Blechtrommel“ durch den Bremer Senat storniert. Der Senat begründete diese Entscheidung mit „moralischen Gründen“ und stellte sich so gegen die Jury, die ihrerseits einer Auszeichnung zugestimmt hatte. In den Jahren seit 1954 war der Literaturpreis nicht nur an Grass vergeben worden, sondern auch an namhafte Autoren wie Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Der daraus resultierende Skandal führte zu einer grundlegenden Neuformierung des Literaturpreises im Jahr 1962, künftig vergeben durch eine unabhängige Stiftung, um solche Kontroversen zu vermeiden, wie fernuni-hagen.de berichtet.
Eine Gruppe von Studierenden der FernUniversität in Hagen hat sich intensiv mit den Archivdokumenten des Vorfalls beschäftigt. Bei ihrer Recherche im Staatsarchiv und im Günter-Grass-Medienarchiv stießen sie auf interessante Details über die damaligen Debatten. Kerstin Herrnkind, eine der Studierenden, konnte aufgrund ihrer früheren Tätigkeit bei der taz in Bremen eine persönliche Verbindung zu dem Thema herstellen. Annemarie Mevissen, die 1960 als Jugendsenatorin fungierte, war eine zentrale Figur in der Auseinandersetzung und wurde für ihre Entscheidung massiv kritisiert. Die öffentliche Meinung zu ihrer Einschätzung war, dass sie die Preisvergabe aus Gründen des Jugendschutzes abgelehnt habe. Mevissen äußerte sich ambivalent über das Buch, das sie als auf dem Weg in die Weltliteratur betrachtete, jedoch in Teilen als „geradezu pervers“ einschätzte, so die Recherchen der Studierenden.
Die Bedeutung von „Die Blechtrommel“
„Die Blechtrommel“, veröffentlicht 1959, erzählt die Geschichte des kleinen Oskar Matzerath, der sich im Alter von drei Jahren entschließt, nicht mehr zu wachsen. Das Buch ist nicht nur ein autobiografischer Roman, sondern thematisiert auch die Erlebnisse während des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit in Danzig. Es gilt als einer der einflussreichsten deutschen Romane des 20. Jahrhunderts und spiegelt die komplexen gesellschaftlichen Verdrängungsmechanismen wider. Grass‘ Werk war sowohl ein literarischer als auch ein gesellschaftlicher Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit.
Günter Grass selbst, geboren am 16. Oktober 1927 in Danzig, hinterließ ein kontroverses Erbe. Sein Leben und Werk sind nicht ohne einen kritischen Blick auf seine Zeit, in der er als Soldat der Waffen-SS diente, zu betrachten. Diese Mitgliedschaft führte immer wieder zu ernsten Debatten über seine moralische Autorität. Grass, der 2015 verstarb, war dennoch als Literatur-Nobelpreisträger und kritischer Intellektueller bekannt. Seine politischen Äußerungen und sein Engagement, insbesondere für die SPD, prägten sein öffentliche Image. Später sorgte das Gedicht „Was gesagt werden muss“ für Aufsehen und wurde als antisemitisch kritisiert, was erneut zu spalten führte,](https://www.fr.de/kultur/literatur/guenter-grass-biografie-literatur-nobelpreis-zweiter-weltkrieg-kontroversen-92723506.html) so die Perspektive, die Harro Zimmermann in seiner umfassenden Biografie über Grass bietet.
Aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit Günter Grass
In der Gegenwart wirft die Diskussion weiterhin Schatten auf die Günter Grass Stiftung, die den Literaturpreis „Albatros“ vergibt. Der US-Autor Dave Eggers, der für die bevorstehende Preisverleihung eingeladen war, sagte seine Teilnahme kurzfristig ab. In seiner Erklärung kritisierte er die Notwendigkeit, sich mit Grass’ umstrittenen Äußerungen zu Israel und Iran auseinanderzusetzen. Eggers‘ Absage richtet sich nicht gegen die Stiftung oder den Preis selbst, sondern reflektiert den tiefen Konflikt, der Grass‘ Erbe prägt. Die Günter Grass Stiftung vergibt den hochdotierten Literaturpreis, der seit 2006 alle zwei Jahre verliehen wird, mit einem Preisgeld von 40.000 Euro. Eggers und seine Übersetzer teilen sich diesen Preis für sein Werk „Zeitoun“, das als Plädoyer für Zivilcourage gilt. Die Jury würdigt in der Auszeichnung auch die herausragende Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.