
Am 5. Juni 2025 wird das temporäre Exponat „Millionen Augenblicke“ im Gießener Mathematikum eröffnet, wo über ein Jahr hinweg die Erhebung von Blickdaten stattfand. Dieses innovative Projekt wird von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) geleitet, die zeigt, dass sich das Blickverhalten von Menschen nicht nur bis zum Grundschulalter, sondern bis ins junge Erwachsenenalter entwickelt. Im Rahmen einer Studie des Teams um Dr. Marcel Linka und Prof. Dr. Ben de Haas wurden die Blickbewegungen von über 6.700 Personen im Alter von 5 bis 72 Jahren untersucht. Die Studie wurde im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ veröffentlicht und zeigt überraschende Erkenntnisse über das langsame Wachstum des erwachsenen Blickverhaltens über fast zwei Jahrzehnte.
Gemessen wurden mehrere Millionen Blickbewegungen bei 40 Alltagsszenen. Die Beteiligten beobachteten dabei, wie jüngere Kinder ihren Blick häufiger auf Hände oder berührte Objekte richten, während Textelemente seltener ins Blickfeld geraten. Die Analysen ergaben, dass Kinder seltener horizontal durchs Bild blicken, was darauf hindeutet, dass sich die Wahrnehmung mit zunehmender Erfahrung verändert. Häufig gesehene Objekte formen das Blickverhalten, wodurch sich die Blickmuster im Verlauf der Jugend ähnlicher gestalten.
Entwicklung bis ins junge Erwachsenenalter
Die Ergebnisse der Studie sind faszinierend. Das Team hat aufgezeigt, dass Erwachsene spezifische Blickmuster aufweisen, und das Verständnis von „mentalen Landkarten“ für typische Szenen wird in zukünftigen Forschungen weiter untersucht. Diese sind von hoher Relevanz, um die Blickgewohnheiten besser zu verstehen und die Bedürfnisse von Kindern in der Weltwahrnehmung zu erkennen.
Zudem ist das Team Teil des Exzellenzclusters TAM – The Adaptive Mind, das universelle Prinzipien der Anpassungsfähigkeit und Wahrnehmung untersucht. Ein interessanter Aspekt ist der geplante Master-Studiengang „Mind, Brain and Behavior“ an der JLU, der solche Themen vertiefen wird.
Eye Tracking als Forschungswerkzeug
Die hier verwendete Eye-Tracking-Technologie ist entscheidend für die Messung von Blickbewegungen und Pupillengröße. Diese Methode gibt Einblicke in psychologische Bereiche wie Aufmerksamkeit, Motivation und Gedächtnis, und wird auch bei der Arbeit mit präverbalen Säuglingen und nicht-menschlichen Populationen eingesetzt. Forscher stellen dabei wichtige Fragen, etwa dazu, wie sich das Wissen und die Emotionen von Säuglingen im Jugendalter entwickeln, und ziehen Rückschlüsse auf das Wissen anderer Tiere, während sie Erkenntnisse mit menschlichem Denken vergleichen. Die nicht-invasive Methode, die von Geräten zur Messung mit der Pupil Center Corneal Reflection-Technik unterstützt wird, hat zur Analyse von Blickbewegungen vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter beigetragen.
Darüber hinaus wird Eye Tracking in der Marktforschung eingesetzt, um Nutzerverhalten zu analysieren. Mobile Eye-Tracking-Geräte ermöglichen Studien in realen sowie nachgebildeten Umgebungen und sind von großem Wert in Bereichen wie der Leseforschung, dem Gesundheitswesen und der Automobilindustrie. Hier steigt die Bedeutung der Technik in der Verbesserung der Fahrzeugsicherheit und Nutzererfahrung sowie in der Unterstützung von Menschen mit Lähmungen.
Die Fähigkeit des Eye Trackings, immersive Erlebnisse in der virtuellen Realität durch die Technik des „Foveated Rendering“ zu ermöglichen, könnte auch die Zukunft grundlegend verändern. Die Technik eröffnet neue Anwendungsfelder und steht vor einem Durchbruch in der Marktforschung, auch wenn sie noch Expertise erfordert.
Insgesamt verdeutlicht die Untersuchung nicht nur die Fortschritte in der Wahrnehmungsforschung, sondern auch die wichtigsten Implikationen von Eye Tracking für unser Verständnis menschlichen Verhaltens und für die Anwendung der Technik in verschiedenen wissenschaftlichen und praktischen Bereichen. Während der Blick des Einzelnen oft unbewusst bleibt, eröffnet die Forschung an der Gießener Universität neue Wege, um zu verstehen, was Menschen sehen und wie sie die Welt wahrnehmen. Weitere Informationen dazu finden sich bei uni-giessen.de, eva.mpg.de und horizont.net.