
Wolf Singer, ein renommierter deutscher Neurowissenschaftler und ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung, beschäftigt sich intensiv mit der Funktionsweise natürlicher Gehirne im Vergleich zu Computersystemen. Das Ziel seiner Forschung besteht darin, zu ermitteln, ob die Arbeitsweise von Computersystemen analoge Prinzipien zur Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) nutzen kann. In diesem Zusammenhang untersucht er insbesondere die Funktionsweise von Deep Neural Networks (DNNs) und Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT.
DNNs sind komplexe künstliche neuronale Netze, die in der Lage sind, anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen, beispielsweise in der Bilderkennung oder beim Spielen von Schach und Go. LLMs hingegen, einschließlich ChatGPT, nutzen große Textmengen, um Sprache zu verstehen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Trotz der technologischen Fortschritte legt Singers Forschung nahe, dass es fundamentale Unterschiede zwischen künstlichen und natürlichen Systemen gibt:
Fundamentale Unterschiede
- Künstliche Systeme verlassen sich auf digitale Signale und verarbeiten Informationen seriell innerhalb hierarchischer Architekturen.
- Natürliche Systeme hingegen verwenden analoge Signale, die parallel in einem stark vernetzten und flach hierarchischen Format bearbeitet werden.
- Ein markanter Unterschied ist die Dynamik: Während künstliche Systeme statisch arbeiten, zeichnen sich natürliche Systeme durch ein hochdynamisches Verhalten aus, das rhythmische Schwingungen und komplexe Interferenzmuster aufweist.
Simulationen haben gezeigt, dass diese dynamischen Eigenschaften eine effiziente Rechenstrategie darstellen und ähnliche Vorteile wie Quantencomputer bieten könnten. Die Erkenntnisse aus Singers Arbeiten könnten dazu beitragen, energieeffiziente KI-Systeme zu entwickeln, die an der Funktionsweise des menschlichen Gehirns orientiert sind. Dies betreffen unter anderem auch die Theory of Temporal Binding, die beschreibt, wie synchronisierte neuronale Schwingungen verschiedene Gehirnregionen zur kohärenten Wahrnehmung befähigen. Singers interdisziplinärer Ansatz verbindet Neurowissenschaft mit Informatik und könnte entscheidend für die Zukunft der KI sein.
Am Dienstag, den 27. Mai 2025, um 19 Uhr, wird Wolf Singer im Oberlichtsaal des Hauptgebäudes der Bauhaus-Universität Weimar im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sonic Talks“ einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel „Oszillationen, Wellen und Interferenzen. Die Lingua Franca der Großhirnrinde“ halten. Das aktuelle Thema der Reihe lautet Rhythmus, Klang und Heilung und wirft damit einen interessanten Blick auf die Beziehung zwischen Mensch und Technik.
Die Perspektive von Henning Beck
Henning Beck, ein ebenso prominenter Neurowissenschaftler und Bestseller-Autor, stellt in seinem aktuellen Interview die Unterschiede zwischen menschlicher Intelligenz und KI heraus. Beck thematisiert die Entstehung von Gedanken und verweist auf die Unterschiede in der Denkweise. Während KI Systeme wie ChatGPT Daten analysieren und äußere Wahrscheinlichkeiten für Outputs erzeugen, fangen Menschen häufig mit einer bewussten Absicht an und denken in Bildern und Mustern.
Becks Analyse zeigt, dass Menschen Sprache als Ausdruck bereits existierender Ideen nutzen, wohingegen KI-Modelle auf Wortvorhersage basieren. Ein zentraler Vorteil des menschlichen Gehirns besteht in der Fähigkeit, mit nicht messbaren Aspekten wie Beziehungen und kreativen Entscheidungen umzugehen. Angesichts der heutigen Herausforderungen sieht Beck die Notwendigkeit, dass Individuen selbstständig und kritisch denken, um den Einfluss der KI zu verstehen und gezielt zu steuern.
In seiner Argumentation hebt Beck hervor, dass KI-Systeme besonders effektiv bei der Verarbeitung großer Datenmengen sind, jedoch an ihre Grenzen stoßen, wenn es um neue Problemstellungen geht. Historisch betrachtet haben neue Technologien nicht zur Massenarbeitslosigkeit geführt, sondern neue Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. Er plädiert dafür, KI als ein Werkzeug zu betrachten, das durch menschliche Interaktion an Wert gewinnt und empfiehlt, zukunftsorientierte Führungsstile zu fördern, die Mut und Offenheit gegenüber neuen Technologien betonen.