
Die Forschung um die Rolle von RNA-Molekülen in der Immunabwehr hat einen entscheidenden Fortschritt gemacht. Forschende um Leon Schulte und Nils Schmerer von der Philipps-Universität Marburg haben neue Stoffwechselprozesse von nichtkodierenden RNAs (lncRNAs) entschlüsselt, die für die Entzündungsprozesse von Immunzellen entscheidend sind. Die Ergebnisse dieser umfassenden Studie wurden im angesehenen Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Forschung war die Entwicklung eines neuartigen Analyseverfahrens namens GRADR, das die Interaktion von lncRNAs mit Proteinen in Makrophagen visualisiert.
Der Atlas, der im Zuge der Studie erstellt wurde, zeigt auf, wie lange nichtkodierende RNAs, die lange Zeit als „Junk-DNA“ galten, fundamentale Funktionen im Immunsystem übernehmen. Besonders bemerkenswert ist das RNA-Molekül ROCKI, das einen zellulären „Aus-Schalter“ blockiert und damit die Entzündungsantwort fördert. Zusammen mit vier weiteren lncRNAs beeinflusst ROCKI zentrale Signalwege der angeborenen Immunantwort, die für die Abwehr von Krankheitserregern wichtig sind.
Rolle der nichtkodierenden RNAs
In der Generierung eines umfassenden Verständnisses der Funktionen von lncRNAs zeigt die Studie, dass über 85% des menschlichen Genoms transkribiert werden, während weniger als 2% protein-codierende Gene beinhalten. Trotz dieser hohen Transkription ist die Funktion der meisten lncRNAs noch unklar, da weniger als 3% dieser Transkripte bisher konkrete Funktionen zugeordnet werden konnten. Diese lncRNAs regulieren Gene auf transkriptionaler und post-transkriptionaler Ebene in verschiedener Weise.
Die Bedeutung von lncRNAs im Immunprozess ist ein aufkommendes Forschungsfeld. Derzeit konzentrieren sich nur etwa 4% der Studien zu lncRNAs auf deren Rolle in der angeborenen Immunität, obwohl diese Moleküle in der Lage sind, Nachbar-Gene zu regulieren und Immunzellen wie Makrophagen zu aktivieren, indem sie mit spezifischen Rezeptoren interagieren. In diesem Kontext zeigt die Analyse des lncRNA LincRNA-Cox2, dass diese RNA bei der Regulierung pro-inflammatorischer Gene eine Schlüsselrolle spielt.
Implikationen für Diagnose und Therapie
Die neuen Erkenntnisse aus der Forschung könnten weitreichende Auswirkungen auf die medizinische Diagnostik und Therapie haben. Durch die Identifikation spezifischer lncRNAs als neue Diagnosemarker oder therapeutische Ziele könnten Behandlungen für entzündliche Erkrankungen wie Sepsis oder Lungenentzündung entwickelt werden. Die Studie bietet darüber hinaus eine öffentliche Webplattform namens SMyLR, die es Forschenden ermöglicht, gezielt nach immunologischen RNAs zu suchen und deren Regulierung nachzuvollziehen.
Die umfangreiche Forschung wurde nicht nur durch die Philipps-Universität Marburg, sondern auch durch Partnerinstitutionen aus Freiburg, Gießen, Berlin und München unterstützt. Die Finanzierung wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Hessischen Wissenschaftsministerium und der Von Behring-Röntgen-Stiftung getragen. Pflanzen diese Erkenntnisse einen Wille in die Zukunft, so bedarf es umfassender weiterer Untersuchungen, um die Mechanismen und Funktionen der nichtkodierenden RNAs weiterhin zu entschlüsseln und zu verstehen.