
Die Schwestern Nele (22) und Jette (18) R. leben mit einer seltenen Erkrankung, der generalisierten Dystonie, einer neurologisch bedingten Bewegungsstörung. Diese führt zu unwillkürlichen Muskelkontraktionen, die von leichten Muskelverkrampfungen bis zu schweren Verzerrungen reichen können. Unbehandelt kann die Erkrankung zu einer Rollstuhlabhängigkeit führen, was die Lebensqualität erheblich einschränkt. In Deutschland sind etwa 160.000 Menschen von Dystonie betroffen, wobei zwei Hauptformen existieren: die generalisierte Dystonie, die den gesamten Körper betrifft, und die fokale Dystonie, die einzelne Körperteile involviert, wie beispielsweise die zervikale Dystonie.
Nele hatte in der Grundschule ihre ersten Symptome, die sich durch Verspannungen und Innendrehungen ihres linken Fußes äußerten. Die Familie suchte lange nach einer geeigneten Behandlung, bis sie schließlich zur Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gelangte. Hier wurden beiden Schwestern vor über zehn Jahren tiefe Hirnstimulation (THS) angeboten, eine Therapieoption, bei der Elektroden in das Gehirn implantiert werden. Diese Elektroden geben elektrische Reize ab und modifizieren die Hirnfunktionen, was insbesondere bei Dystonien vorteilhaft ist.
Die Rolle der Tiefen Hirnstimulation
Professor Dr. Joachim Krauss, der Direktor der Neurochirurgie an der MHH, gilt als Pionier in der Anwendung der THS und führte diese Methode erstmals 2005 an der MHH ein. Das Team der MHH hat seither über 200 THS-Operationen wegen generalisierter Dystonien durchgeführt. Bei Jette wurde der Hirnschrittmacher im Alter von sieben Jahren eingesetzt, nachdem ähnliche Symptome wie bei Nele auftraten. Die regelmäßige Nachsorge bei Professor Krauss zeigt nicht nur den medizinischen Aspekt, sondern ist auch eine emotionale Verbindung entstanden; die Schwestern pflegen eine freundschaftliche Beziehung zu ihrem behandelnden Arzt.
Studien, wie eine von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, haben die Funktionsweise der THS weitergehend untersucht. In einer Analyse von 80 Patienten wurde festgestellt, dass die optimale Platzierung der Elektroden und aktivierten Gehirnnetzwerke stark von der spezifischen Form der Dystonie abhängt. Dies bezieht sich insbesondere auf den primären Motorkortex, der entscheidend für die motorischen Funktionen ist. Erkenntnisse aus solchen Studien könnten helfen, die Therapie der Dystonie zu verfeinern und sie individueller zu gestalten.
Alltag und Zukunft der Schwestern
Trotz ihrer Erkrankung führen Nele und Jette ein aktives Leben. Nele studiert Informatik, während Jette sich darauf vorbereitet, im nächsten Jahr ihr Abitur abzulegen und ein Studium in Hebammenwissenschaft anzustreben. Jette tanzt leidenschaftlich Hip-Hop, während Nele sich für Kraftsport begeistert und außerdem gerne Ski fährt sowie Mountainbike fährt.
Die Erkrankung Dystonie bleibt eine Herausforderung, doch die Fortschritte in der Behandlung durch Methoden wie die THS ermöglichen es den Betroffenen, ihre Lebensqualität erheblich zu steigern. Die Geschichten von Nele und Jette sind inspirierende Beispiele dafür, wie trotz schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben möglich ist. In dieser Hinsicht wird die Forschung, wie sie an der Universitätsklinik Bonn betrieben wird, weiterhin entscheidend sein, um neue Therapieansätze zu entwickeln und die Lebensumstände von Menschen mit Dystonie zu verbessern.