
Dr. Olga Shparaga, eine prominente politische Philosophin, floh 2020 aus Belarus, nachdem sie an politischen Protesten teilgenommen hatte. Die Proteste standen im Zusammenhang mit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen, die massive internationale Aufmerksamkeit auf die repressiven Maßnahmen der belarusischen Regierung lenkten. Shparaga, die für 15 Tage inhaftiert wurde, traf die Entscheidung zur Flucht aus Angst vor einer erneuten Verhaftung. Ihr Weg führte sie über Litauen nach Deutschland und später nach Österreich. Seit Anfang 2023 ist sie Gastwissenschaftlerin am Lehrgebiet Philosophie III an der FernUniversität in Hagen und hat sich das Ziel gesetzt, Bedingungen zu schaffen, die die demokratische Teilnahme stärken können, insbesondere durch ihre Forschung zu feministischem Aktivismus.
Shparaga kennt die Professoren Thomas Bedorf und Felix Ackermann seit vielen Jahren, die sich für ein Stipendium der Philipp Schwartz Initiative der Humboldt-Stiftung eingesetzt haben, das gefährdete Forschende unterstützt. Neben ihrer akademischen Arbeit ist Shparaga auch eine Mitbegründerin des European College of Liberal Arts (ECLAB) in Belarus und spielte eine zentrale Rolle in der feministischen Gruppe des Koordinierungsrates, der die politische Opposition in der Zeit um Swetlana Tichanowskaja repräsentiert. In ihrem Buch „Die Revolution hat ein weibliches Gesicht“ untersucht sie die Rolle von Frauen in der Demokratiebewegung und betont deren wesentlichen Beitrag zur politischen Landschaft.
Frauen im belarusischen Aktivismus
Die Proteste in Belarus, die im August 2020 nach den Präsidentschaftswahlen ausbrachen, sind als revolutionäre Bewegung beispiellos und dauern bis Ende 2020 an. Besonders hervorzuheben ist die Rolle der Frauen, die sich in Solidaritätsketten zusammenfanden und eine treibende Kraft der Proteste wurden. In dieser Zeit nahmen nicht nur traditionelle Protestformen Form an, sondern auch neue Akte des Widerstands, die sich gegen die brutale Regierungsgewalt richteten und emotionale Reaktionen auf die Gewalt gegen Bekannte zum Ausdruck brachten. Frauenmärsche wurden schnell zu einer wöchentlichen Tradition. Berühmte Persönlichkeiten wie Sviatlana Tsikhanouskaya, Veranika Tsapkala und Maryia Kalesnikava führten die Bewegung an, nachdem männliche politische Akteure inhaftiert worden waren.
Eine Forschungsarbeit zum Aktivismus von Frauen in Belarus beleuchtet, dass über 50% der befragten Frauen nach August 2020 aktiv wurden, um gegen die Brutalität der Regierung zu protestieren. Laut laender-analysen.de führte der Druck und die Repression durch den belarusischen Machtapparat dazu, dass viele der bestehenden Frauen- und Genderorganisationen gezwungen waren, ihre Arbeit zu beenden oder das Land zu verlassen. Noch vor 2020 waren diese Organisationen im Vergleich zu staatlichen Initiativen kaum sichtbar.
Der moderne belarusische Feminismus
Der Aktivismus von Frauen in Belarus hat sich mit dem Krieg in der Ukraine, der im Jahr 2022 begann, weiterentwickelt. Zahlreiche Aktivistinnen unterstützen nun Ukrainer:innen, während gleichzeitig die Migration von belarusischen Frauen, insbesondere nach den Wahlen 2020, angestiegen ist. Es wird geschätzt, dass 40% der befragten Aktivistinnen im Jahr 2022 außerhalb von Belarus lebten. Trotz der Herausforderungen, insbesondere bei der Doppelbelastung durch Erwerbsarbeit und Aktivismus, zeigt sich, dass der Mut vieler Frauen nicht gebrochen ist.
In ihrer Arbeit in Hagen plant Shparaga ein Seminar über die feministische Perspektive auf das soziale Band, das auch die Verknüpfung von Genderfragen und politischem Engagement thematisieren soll. Die Diskussion um die Rolle von Frauen im Widerstand wird weiterhin intensiv geführt und wirft Fragen nach ihrer agency auf. Während einige Stimmen in der feministischen Bewegung in Belarus skeptisch sind, ob die Proteste tatsächlich heteropatriarchale Werte subvertieren können, ist es unbestritten, dass die Mobilisierung von Frauen als ein wesentlicher Bestandteil der belarusischen Protestbewegung angesehen wird. Ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme in einer patriarchal geprägten Gesellschaft werden als „weiche Macht“ betrachtet, die innerhalb männlich dominierter Strukturen agiert.
Dr. Olga Shparaga nutzt ihre Plattform, um ihre Forschungsergebnisse auch außerhalb des akademischen Rahmens bekanntzumachen und für die Rechte von Frauen zu kämpfen. Ihre Arbeit wird dadurch nicht nur in der wissenschaftlichen Gemeinschaft geschätzt, sondern hat auch das Potenzial, breitere gesellschaftliche Diskussionen über Gender, Politik und Aktivismus in Belarus anzustoßen.