
Der Lehrkräftemangel in Deutschland hat sich in den letzten Jahren zu einem drängenden Problem entwickelt, das insbesondere Grundschulen und Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler:innen betrifft. Aktuelle Informationen verdeutlichen, dass bereits im Jahr 2023 laut einer Forsa-Umfrage 50 % der Schulen mindestens eine Stelle nicht besetzen konnten und 17 % sogar drei oder mehr unbesetzte Stellen hatten. Diese Missstände führen zu Notmaßnahmen wie Unterrichtsausfällen und Überstunden, während die Klassengrößen steigen und die Unterrichtsstunden reduziert werden müssen. Selbst an zwei von drei Schulen unterrichten Personen ohne reguläre Lehramtsausbildung. Diese Situation alarmiert Experten. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat die Lage als dramatisch bezeichnet und warnt vor negativen Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. Besonders betroffen sind Schüler:innen aus sozial benachteiligten Familien, deren Schulleistungen unter den reduzierten Unterrichtszeiten leiden.
Um den akuten Lehrkräftemangel zu adressieren, hat die Universität Bielefeld ein innovatives Projekt ins Leben gerufen. Unter der Leitung von Professorin Dr. Susanne Miller und Dr. Mona Stets wird ein Curriculum entwickelt, das angehende Lehrkräfte bereits während des Studiums als Vertretungslehrkräfte einsetzt. Das Projekt mit dem Titel „Grundschulpädagogik für studentische Vertretungslehrkräfte“ wird mit 60.000 Euro aus dem Qualitätsfonds plus gefördert und zielt darauf ab, die Lehramtsstudierenden zu unterstützen und die Reflexion ihrer Praxiserfahrungen zu fördern. Die Studierenden sollen nicht nur praktische Erfahrungen sammeln, sondern sich auch gezielt auf ihren späteren Beruf vorbereiten.
Curriculare Neuerungen
Das überarbeitete Modul des Projekts beinhaltet drei Wesenszüge: Erstens wird eine Auseinandersetzung mit den Grundfragen der Grundschulpädagogik angestrebt, um die Analysekompetenzen der angehenden Lehrkräfte zu stärken. Zweitens soll eine systematische Reflexion der Praxiserfahrungen in Peerberatungen erfolgen, die den Austausch unter den Studierenden fördert. Drittens können die Teilnehmer in einer Lernwerkstatt Methoden und Materialien für ihren Schulunterricht erproben. Diese Initiative ist Teil einer umfassenderen Strategie zur Verbesserung der Lehrkräfteausbildung und knüpft an die historischen Herausforderungen an, die Deutschland im Bereich der Lehrerbildung schon mehrfach durchlebt hat.
Zusätzlich wird der Lehrkräftemangel voraussichtlich in den kommenden Jahren zunehmen. Prognosen der Kultusministerkonferenz deuten darauf hin, dass bis 2035 jährlich etwa 463.000 neue Lehrkräfte benötigt werden, während nur 395.000 Neueinstellungen erwartet werden. Die Komplexität dieser Herausforderungen wird auch durch die sinkenden Geburtenzahlen im Land verstärkt, die sich direkt auf die Schüler:innenzahlen auswirken. Gleichzeitig liegt der Anteil der Studienberechtigten, die ein Lehramtsstudium beginnen, nur bei etwa 8 %. Um dem Mangel entgegenzuwirken, müssen Anstrengungen unternommen werden, die Abbrecherquote im Lehramtsstudium zu senken.
In einem weiteren Kontext zeigt eine Umfrage des VBE, dass an jeder zweiten Schule Lehrkräftestellen unbesetzt sind. Besonders betroffen sind hierbei Förderschulen und Grundschulen, die oft auf Lehrkräfte ohne vollständige Qualifikationen zurückgreifen müssen. An mehr als 3.500 Schulen beträgt der fehlende Lehrkräfteanteil über 15 % und verstärkt das ohnehin angespannte Bildungsumfeld. Diese Umstände haben die Bildungspolitik veranlasst, Maßnahmen zu ergreifen, wie die temporäre Kürzung der Stundentafel sowie Reformen in der Lehrerbildung, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken.
Insgesamt zeigen die Entwicklungen, dass der Lehrkräftemangel in Deutschland ein vielschichtiges Problem bleibt, das sowohl politische als auch gesellschaftliche Antworten erfordert. Innovative Ansätze in der Lehrerbildung, wie das Projekt der Universität Bielefeld, könnten ein Schritt in die richtige Richtung sein, um die Qualität und Verfügbarkeit von Lehrkräften zu sichern und somit auch die Bildungschancen aller Schüler:innen zu verbessern.