
Die gegenwärtige Gletscherschmelze in Mitteleuropa ist alarmierend. In den letzten 25 Jahren ist in dieser Region etwa 39 Prozent des Gletschereises verschwunden. Dr. Christian Sommer, ein Geographie-Experte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, beteiligt sich an der renommierten Glambie-Studie der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Diese Studie hat sich der Erfassung der Gletscherrückgänge in den Alpen, den Anden und der Arktis verschrieben und nutzt dazu Satellitendaten.
Die Ergebnisse dieser umfassenden Analyse werden voraussichtlich in den nächsten Weltklimabericht einfließen. Aktuellen Schätzungen zufolge verschwinden weltweit jährlich rund 273 Milliarden Tonnen Eis, was die Dringlichkeit der Situation unterstreicht. Zwischen 2000 und 2023 gingen insgesamt 6542 Milliarden Tonnen Gletschereis verloren, was zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 18 Millimeter geführt hat. Dies geschieht parallel zu einem Anstieg der Schneegrenze und hat erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität der Gletscher.
Die Glambie-Studie und ihre Bedeutung
Die Glambie-Studie ist ein internationales Projekt, das die Daten von 35 Forschungsteams weltweit systematisch vergleicht. Ziel ist es, verlässlichere Aussagen über die Gletscherschmelze zu treffen und die naturräumlichen Veränderungen besser zu überwachen. Hochgelegene Gletscher, die zunächst wenig betroffen schienen, zeigen nun ebenfalls Anzeichen signifikanter Rückgänge. Prognosen deuten darauf hin, dass bis Ende dieses Jahrhunderts die Hälfte aller Gletscher weltweit verschwinden könnte, was katastrophale Folgen für die Wasserversorgung in niederschlagsarmen Regionen hat.
Eine erschreckende Perspektive liefert auch der glaziologische Zustand in der Schweiz. Gletscher in der Schweiz haben in den letzten drei Jahren über 12 Prozent ihrer Eismasse verloren. Glaziologe Andreas Bauder beobachtet den Rhonegletscher im Kanton Wallis und dokumentiert dessen Schmelzprozesse seit 20 Jahren. Das Schmelzwasser dieses Gletschers sammelt sich in einem See, der seit 18 Jahren kontinuierlich wächst. Im Sommer 2024 war die Schmelzintensität höher als die des Vorjahres, während 2023 aufgrund unzureichender Winternahrung besonders schlecht für die Gletscher war.
Globale Auswirkungen der Gletscherschmelze
Die von den Vereinten Nationen für 2025 ausgerufene „Internationale Jahr zur Erhaltung der Gletscher“ könnte entscheidend sein. Weltweit sind 275.000 Gletscher in Gefahr, die gletschergeschützte Trinkwasserversorgung wird bedroht und auch die Landwirtschaft muss mit den Folgen der schwindenden Eismassen rechnen. Essenzielle Wasserstraßen wie der Rhein und die Rhone sind direkt betroffen. Der Meeresspiegel steigt durch die Gletscherschmelze jährlich um etwa 1 Millimeter; wäre dies die vollständige Folge des Gletschersterbens, könnte ein Anstieg von bis zu 32 Zentimetern erfolgen.
Die Auswirkungen der Gletscherschmelze sind nicht mehr nur eine Frage der nächsten Generationen. Sie haben bereits heute spürbare Konsequenzen und erfordern dringende Maßnahmen, um die verbleibenden Gletscher zu schützen und die globale Erwärmung zu bekämpfen. Dr. Sommer weist darauf hin, dass ein besseres Monitoring naturräumlicher Veränderungen notwendig ist, um geeignete Gegenmaßnahmen entwickeln zu können.