
Professorin Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy von der Universität Bielefeld ist Teil einer interdisziplinären Forschungsgruppe, die sich mit den polizeilichen und justiziellen Ermittlungen zum NSU-Mord an Süleyman Taşköprü beschäftigt. Der Mord fand am 27. Juni 2001 in Hamburg statt. Diese Studie wird von der Hamburgischen Bürgerschaft in Auftrag gegeben und zielt darauf ab, die versäumten Möglichkeiten der Aufklärung und die systematischen Defizite der damaligen Ermittlungen zu verstehen. Die Gesellschaft muss aus der Vergangenheit lernen, um die Wiederholungsgefahr zu minimieren, erklärt Dr. Schmitt-Leonardy.
Die Forschungsgruppe besteht aus Mitgliedern vielfältiger akademischer Institutionen aus Bochum, Berlin, Bielefeld und Konstanz. Ihr Fokus liegt auf den organisatorischen und gesellschaftlichen Faktoren, die zu den Fehleinschätzungen der Ermittlungsbehörden führten. Beim NSU, einer rechtsextremen Terrorgruppe, handelt es sich um eine der gravierendsten Mordserien in der deutschen Geschichte, bei der zwischen 2000 und 2006 neun rassistisch motivierte Morde an Unternehmern mit Migrationshintergrund verübt wurden. Acht dieser Opfer stammten aus der Türkei und eines aus Griechenland.
Die NSU-Mordserie
Die NSU-Mordserie wird auch als „Dönermorde“ oder „Mordserie Bosporus“ bezeichnet, Begriffe, die als irreführend und diskriminierend kritisiert wurden. Die Morde geschahen in einem Zeitraum von sechs Jahren, ohne regelmäßigen Rhythmus. Sie fanden ihren Ursprung mit dem Mord an Enver Şimşek am 9. September 2000 in Nürnberg und endeten mit dem Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel. Die Opfer arbeiteten häufig in kleinen Geschäften und wurden systematisch aufgrund ihrer Herkunft verfolgt.
Die Ermittlungen konzentrierten sich über Jahre nahezu ausschließlich auf die Opfer und deren Umfeld, während die Motive der rechtsextremen Täter kaum in Betracht gezogen wurden. Kritiker, insbesondere Angehörige der Opfer, bemängelten diese einseitige Perspektive. Es gab über 3500 Spuren und 11.000 zu überprüfende Personen in den Ermittlungen, doch die entscheidende Spur blieb bis zur Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 unbekannt.
Ermittlungen und Aufarbeitung
Die Hauptakteure der NSU, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, begingen am 4. November 2011 Suizid, während Beate Zschäpe sich am 8. November 2011 der Polizei stellte. Zschäpe wurde ab Mai 2013 im NSU-Prozess angeklagt, zusammen mit vier mutmaßlichen Gehilfen. Letztlich wurden im Juli 2018 alle fünf verurteilt, Zschäpe erhielt eine lebenslange Haftstrafe.
Nachdem der NSU als rechtsextreme Gruppierung enttarnt worden war, wurden die zuvor als „Dönermorde“ klassifizierten Morde als rassistisch motivierte Taten eingestuft. In den Folgejahren kam es zu zahlreichen öffentlichen Protesten und Gedenkveranstaltungen, um der Opfer zu gedenken. An verschiedenen Orten, wo die Morde stattfanden, wurden Gedenktafeln installiert, wobei einige dieser Orte in den Jahren zwischen 2010 und 2018 vandalisiert wurden.
Die interdisziplinäre Forschungsgruppe, der Dr. Schmitt-Leonardy angehört, evaluiert alle verfügbaren Akten, Dokumente und Datenbestände, um ein umfassendes Bild der gescheiterten Ermittlungen zu zeichnen und präventive Maßnahmen für die Zukunft zu entwickeln. Ein parlamentarischer Beirat begleitet das Projekt, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Forschung auch politisch den nötigen Stellenwert erhalten.